Auszüge aus der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum des Schützenverein von 1882 Rhode e.V.
Ein weiter Weg von der Vergangenheit zur Gegenwart
100 JAHRE VEREINSGESCHICHTE IM ZEITRAFFER
Jubiläen bieten Anlaß, stolz und selbstbewußt, aber ohne Selbstgefälligkeit auf Leistungen und Erfolge zurückzublicken. Und was eignet sich besser dazu, als eine Chronik? Denn das Wort Chronik - es kommt aus dem griechischen chronos Zeit - bedeutet die Entstehung geschichtlicher Ereignisse nach ihrer Zeitfolge. Zur Vergegenwärtigung unserer eigenen Schützengeschichte soll diese Festzeitschrift und mit ihr die nachfolgende Chronik beitragen.
Gerade in einer Zeit, in der den Vereinen aufgrund leerer öffentlicher Kassen eine Bewährungsprobe ins Haus steht, ist es zum einen wichtig, sich der Anfänge zu erinnern und der Frauen und Männer, die sich zum Schützenverein bekannten, als dies noch mit zum Teil persönlichen Entbehrungen verbunden war. Aber ein solcher Rückblick kann und wird auch dabei helfen, künftige Aufgaben mit Engagement und Schwung anzupacken.
100 Jahre vergangenes Vereinsgeschehen aufzuzeigen, ist ein nicht ganz leichtes Unter fangen, zumal wenn dies durch fehlende Unterlagen aus der Anfangsgeschichte noch erschwert wird. Dieser Beitrag will daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; aber er zeigt Augenblicke des Erfolgs wie auch der Niederlage, der Freude ebenso wie des Leids auf. Herausragende Ereignisse, die man nicht vergißt, und Menschen, die man nicht vergessen sollte. - Aber gehen wir in die Anfangszeit der Schützenvereine überhaupt.
Ihren geschichtlichen Ursprung haben die heutigen Schützenvereine in den Schützengesellschaften und -gilden des Mittelalters. Sie stellten damals zunftartige Stadt- bzw. Ortsgesellschaften dar, die Schießausbildung zur Selbsthilfe gegen Überfälle durch Adelige und Fürsten betrieben. Nachweisbar als „ Schützengesellschaften" sind sie in Deutschland seit Mitte des 14. Jahrhunderts.
In den „ Statuten der Schützengesellschaft Rhode vom 15. April 1885", dem einzigen noch erhaltenen Belegmittel aus der Gründerzeit, liest man über den Zweck unseres Schützenvereins folgendes:
" ... unter seinen Mitgliedern bei öfterem Beisammensein gute Kameradschaft, Anstand, gute Sitte und Achtung vor den Gesetzen zu erhalten und zu fördern . . ."
,, ... vormaligen sowie auch Nicht-Soldaten die Gelegenheit zu bieten, bei einem alljährlich stattfindenden Preisschießen die Kunst des Schießens zu erproben und zu lernen ... " So genehmigt zu Gifhorn, den 27. April 1885, gez. von Nieberschütz, Königlicher Landrat".
Namen und Begriffe, die gerade bei unseren älteren Vereinsmitgliedern und Dorfbewohnern liebe Erinnerungen wachgehalten haben, setzten Akzente bei den Schützenfesten bis 1939. Wer kannte damals zum Beispiel nicht
- den Festplatz am Sohl
- Lutchen Lips mit seiner Bäckerbude
- die Kapelle Alwin Blanke mit ihrem „ Startrompeter" Willi Bussius
- das beliebte Kinderfest unter Leitung von Lehrer Wilhelm Scheper und Wilhelm Stute
- ,,Tutenmaker" Wilhelm Stute mit seinem „Solo-Klingeln "
- Wilhelm Bussius und seine „Post im Walde "
- oder das traditionsreiche Schützenfrühstück am Montag, und nicht nur da hieß es:
- ,,11 für 'ne Mark".
All dies kennzeichnet eine Epoche des Dorfes Rhode zu einer Zeit, als dieser Ort noch „überschaubar" war, in der von Düsenlärm, Abfallbeseitigung, Umweltschutz und was dergleichen Dinge heute mehr sind, noch nicht die Rede war. Damals bedeutete das Schützenfest den Höhepunkt gesellschaftlichen Lebens für die gesamte Bevölkerung des Dorfes, an dem jeder Anteil hatte - viele allein schon durch die vorbereitenden Arbeiten. Das Tanzzelt wurde damals mit Ochsengespannen aus der Umgebung herangeschafft, für das Küchen- und Thekenzelt hatte der Festwirt dann ebenso zu sorgen wie für Wasser und Licht. Und wenn man sich den damaligen Stand der Technik vergegenwärtig, wird der erforderliche große persönliche Einsatz deutlich, der für den Erfolg der Feste Voraussetzung war. Der erste ganz große Erfolg war dann 1932, als man das 50jährige Bestehen des Schützenvereins feiern konnte.
Mit dem zweiten Weltkrieg kam dann vorübergehend auch das Vereinsleben zum Erliegen. Not und Entbehrungen, persönliches Leid und Opfer waren die Meilensteine jener Tage. Doch Verzweiflung und Resignation wichen dem ungeheuren Willen nach Wiederaufbau und dem Anknüpfen an eine alte Tradition in einer besseren Zukunft. Dem stellte sich anfangs noch die Militärregierung in den Weg; hatte sie doch nach Beendigung des Krieges das Wort. So gab es zum Beispiel militärische Anweisungen, die die Neuanmeldung aller bestehenden Organisationen regelte; des weiteren mußten sportliche Wettkämpfe und Vereinszusammenkünfte drei Monate im voraus bei der Militärregierung angemeldet werden, und ebenso unterlag die Personenbeförderung einer weitgehenden Einschränkung.
Doch all diesen Erschwernissen zum Trotz wurde 1949 eine Schützengilde als Sparte des Sport-Clubs Rhode gegründet, um Tradition und Brauchtum des Schützenwesens nicht nur im Sinne der Satzung zu pflegen, sondern darüber hinaus zu fördern und zu aktivieren. Aus dieser „Schützengilde" wurde am 27. Dezember 1952 mit Beschluß der Wiedergründungsversammlung der „ Schützenverein von 1882", die einstimmig folgenden Vorstand wählte:
1. Vorsitzender Schriftführer Schießwart Willi Bake Kurt Seidenthal Karl Röver
2. Vorsitzender Kassenwart Hauptmann Fritz Holze Bruno Wlassow Alfred Nowak
In die ausgelegten Listen trugen sich 38 Personen ein und erklärten damit ihren Beitritt. Am 17. Januar 1953 fand in der „ Gastwirtschaft" Hennecke eine außerordentliche Mitgliederversammlung statt, in der einstimmig der Beitritt zum Schützenverband Niedersachsen beschlossen wurde. An dieser Versammlung nahm übrigens auch Schützenoberst Hermann Lahmann aus Wolfsburg teil, der in den fünfziger und sechziger Jahren zum gerngesehenen Gast in Rhode wurde. Die Versammlungen fanden zu jener Zeit bewußt an einem Sonntagnachmittag statt, um auch „den Schützenbrüdern, die im Volkswagenwerk beschäftigt sind und am Sonnabend Spätschicht haben, die Möglichkeit zu geben, an der Versammlung teilzunehmen".
Mit bemerkenswerter Aktivität und Intensität war man um den weiteren Auf- und Ausbau des Vereins bemüht. Die zwischen 1953 und 1960 eingeleiteten Maßnahmen legen ein eindrucksvolles Zeugnis von den Männern ab, die Verantwortung insbesondere für den Wiederaufbau trugen. Sie trafen in dieser Zeit wichtige Entscheidungen, die auch heute noch das Bild des Vereins prägen.
In den Jahren 1953 und 1954 wurde eine Sammlung durchgeführt; mit ihr konnte der Kauf der Vereinsfahne finanziert werden, die am 31. Mai 1954 geweiht wurde. 1955 zahlte die Gemeinde Rhode einen Zuschuß von 100,- DM; so konnte 1956 die noch heute getragene Königskette gekauft werden. Ebenfalls 1956 wurde eine Jungschützengruppe gegründet. In der ordentlichen Hauptversammlung am 15. Dezember·1956 fiel auch die Entscheidung, das ursprünglich als Kreisschützenfest geplante 75jährige Vereinsjubiläum am 25. und 26. Mai 1957 als „ normales" Jubiläum zu gestalten. Zu dieser Veranstaltung wurden dann 19 Vereine eingeladen, und die Kapelle Rieckmann, Vorsfelde, und der Spielmanns- und Fanfarenzug der Schützengesellschaft Wolfsburg gaben dem Fest eine dem Anlaß würdige musikalische Umrahmung.
Bei dieser Gelegenheit wurden auch erstmals seit Wiedergründung Ehrenmitglieder ernannt. Es waren dies Wilhelm Keune, Wilhelm Behme und Leo Folwarkow; als Jubiläumsmitglieder wurden ausgezeichnet Wilhelm Keune, Wilhelm Behme, Hermann Raupach, Wilhelm Stute, Hermann Semp, Wilhelm Scheper, Willi Wiegmann, Fritz Biermann, Heino Schrader, Fritz Holze und Karl Röver. Feierliches Geleit fanden die Geehrten durch die Ehrendamen, die einheitlich weiße Kleider trugen. (Dem Verfasser dieser Chronik sind die Tage in bleibender Erinnerung, da er als Begleiter des Kinderkönigs aktiv am Fest teilnahm.)
Rechtzeitig zum Jubiläum konnte die Firma Ahrens , Helmstedt, Schützenhüte der Marke „Oberländer" ausliefern; sie sollten erster Schritt zu einer Schützenuniform sein. In einer Einzelbefragung der Mitglieder stellte man Ende 1957 das Interesse zur Anschaffung von Schützenröcken fest, deren Herstellung dann Schneidermeister Heino Schrader über nahm. Zum Stückpreis von 75,- DM ließen sich damals 23 Schützenbrüder einkleiden.
Auf Beschluß einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 22. März 1958 wurden die Planungen für den Kleinkaliber-Schießstand am Sohl in Angriff genommen. Mit der Unterzeichnung des Pachtvertrages über das Gelände der ehemaligen Mergelgrube an der Straße nach Bisdorf zwischen Karl Hoffmeister und dem Verein, der Bereitstellung finanzieller Mittel und dem Materialankauf aus einem zum Abbruch freigegebenen Stall stand dem Baubeginn nichts mehr entgegen. Der Bauschein des Landkreises Gifhorn trägt als Datum den 3. Juli 1959; trotz unermüdlichen Einsatzes der Mitglieder traten dann aber wegen letztendlich noch fehlender Finanzen Verzögerungen am Bau ein. So nahm man das Ganze wieder einmal in die eigene Hand und verkaufte im Frühjahr 1960 Bausteine zum Preis von 10 Pfennigen pro Stück; der Ausbau konnte fortgesetzt werden. Von den vielen freiwilligen Helfern sollen hier beispielhaft Werner Müller und Horst Eggeling genannt sein, die für mehr als 150 geleistete Aufbaustunden mit einem Präsent geehrt wurden. Die Bauabnahme und Einweihung des noch heute genutzten Schießstandes erfolgten 1961.
Eine Satzungsänderung am 14. Dezember 1957 machte es möglich, daß in dem reinen „Männerclub" Schützenverein auch weibliche Personen Mitglied werden konnten. Dies hat bis zum heutigen Tage einen Strukturwandel nach sich gezogen: Von den 125 Mit gliedern sind 35 weiblich. Leicht läßt sich hier auch eine Parallele zu den Vereinen im Bereich des Deutschen Sportbundes ziehen - nahezu ein Drittel der fast 16 Millionen Vereinsmitglieder sind Mädchen und Frauen.
Ein Rückblick über den Aufbau und die Entwicklung unseres Schützenvereins wäre unvollständig, ohne die Vorsitzenden (deren Namen leider nur vom Zeitpunkt der Wiedergründung bis heute bekannt sind) zu erwähnen, die die Gemeinschaft über diesen Zeitraum entscheidend mitgeprägt haben. Es sind dies:
Willi Bake - Rudi Jäschke - Karl Frankiewicz - Karl Röver - Henning Steinbach - Bruno Wlassow - Edmund Schultz.
Wenn wir heute das 100jährige Jubiläum feiern können, so bleibt abschließend festzustellen, daß die Gebiets- und Verwaltungsreform im Jahre 1974 für Rhode eine neue Kreis- und Gemeindezugehörigkeit mit sich gebracht hat. Rhode wurde ein Ortsteil der Stadt Königslutter am Elm; für den Schützenverein von 1882 bewirkte die Reform , daß er sich am 1. Januar 1977 dem Kreisschützenverband Helmstedt anschloß.
Blicken wir auf ein 100jähriges Bestehen zurück, so muß man sagen, daß sich in vielen Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens für jeden einzelnen ein bemerkenswerter und spürbarer Wandel im Vergleich zur „ guten alten Zeit" vollzogen hat. In unserer hochspezialisierten Industriegesellschaft sind die mitmenschlichen Beziehungen mehr denn je zuvor gefährdet; sie sind mancherorts zum Teil schon gar nicht mehr vorhanden. Allein dies zeigt schon die Daseinsberechtigung der Vereine auch in den kommenden Jahren vor dem Hintergrund, ,,bei öfterem Beisammensein gute Kameradschaft, Anstand, gute Sitte und Achtung zu erhalten und zu fördern". Mögen daher auch in Zukunft Tradition und Kameradschaft in unserer Mitte gedeihen - zum Wohle des Vereins , seiner Mitglieder und der dörflichen Gemeinschaft.
Bodo Seidenthal
„GLANZLICHTER" AUS UNSERER ERSTEN SATZUNG
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